Unternehmen, die die Arbeitswelt verändern III – 3M: Innovation durch Freizeit
Ein Beitrag vom 16.06.2015: Jonas Jankus
„Minnesota Mining and Manufacturing“ ist der Name eines Unternehmens, das 1902 als Schleifpapierfabrik gegründet wurde. Gegründet unter der Annahme, für die Schleifpapierproduktion hervorragend geeignete Mineralien gefunden zu haben, machten die Gründer gleich am Anfang einen Fehler: Die von Ihnen entdeckten Mineralien waren ähnliche, jedoch fast wertlose Steine, die für Ihr Vorhaben nicht zu gebrauchen waren. Was folgte waren einige Jahre, in denen Investoren die Firma künstlich am Leben erhalten mussten. Erst als die Gründer in eine andere Stadt umzogen und dort die Klarsichtfolie erfanden stabilisierte sich das Unternehmen – fernab des ursprünglich geplanten Weges. Was den Gründern klar wurde war folgendes: Wenn wir nicht wirksam neue Innovationen entdecken, wird das Unternehmen scheitern.
So begann bei 3M eine Kultur des Erfindens und Scheiterns – jedoch zunächst noch in den Strukturen eines Unternehmens, wie es im frühen 20. Jahrhundert üblich war: Strikte Hierarchien und klare Aufträge. Doch ungefähr 1948 änderte sich dies: Die Führung beschloss, den Mitarbeitern jede Woche 15% der Arbeitszeit zur freien Verfügung zu stellen für eigene Projekte. Diese sogenannte „own time“ durfte von den Ingenieuren, aber auch von anderen Mitarbeitern dazu genutzt werden, auf Kosten des Unternehmens eigene Ideen zu verfolgen, und Erfindungen auszuprobieren.
Das beste und bekannteste Beispiel für den Erfolg dieser Maßnahme ist folgende Geschichte: Eines der Patente von 3M war ein Klebstoff, den man ursprünglich für gescheitert erklärt hatte. Er war zu schwach, und alles was damit aufgeklebt wurde, konnte mühelos wieder entfernt werden. Einige Jahre, nachdem diese Erfindung bereits ad acta gelegt war, hatte der Wissenschaftler Art Fry bei 3M eine Idee. Ihm störte es, das in der Kirche immer die Lesezeichen aus dem Gesangbuch fielen, und es sehr mühevoll war, dem Gottesdienst zu folgen, wenn man die ganze Zeit mit blättern beschäftigt war. Sein Geistesblitz war so simpel wie er genial war: Den schwachklebenden Stoff konnte man auf ein Lesezeichen auftragen, um ein Lesezeichen zu erhalten, welches nicht mehr herausfiel. Er nutzte seine „Freizeit“ bei 3M, um diese Idee zu verfeinern, und das Ergebnis ist einer der meistbenutzten, bekanntesten und nützlichsten Bürogegenstände überhaupt: Der Post-It Zettel.
Doch Post-It’s sind nicht die einzigen Erfolge des „Own-Time“ Konzeptes. 3M ist lange keine Schleifpapierfabrik mehr, sondern ein riesiger global Player im Technologiebereich. Über 20 Milliarden US-Dollar beträgt das jährliche Verkaufsvolumen weltweit. 22800 Patente gehen auf den Namen 3M, viele davon entwickelt im 15% Programm. Selbstverständlich ist das teuer, vom jährlichen Entwicklungsbudget (eine stolze Milliarde US-Dollar) werden immerhin 15% für dieses Programm ausgegeben. Einmal im Jahr gibt es sogar eine interne Konferenz, in der die Mitarbeiter (und es dürfen alle mitmachen, ob Ingenieur oder Anwalt) die Ergebnisse Ihrer freien Arbeitszeit vorstellen, sich Feedback geben und neue Arbeitskreise für die weitere Verfolgung Ihrer Ideen bilden.
Eine gesunde Kultur des Scheiterns gehört zum Erfolg dieser Idee dazu: Nur wenige Ideen werden tatsächlich marktreif. Noch weniger schaffen tatsächlich den Sprung zum kommerziellen Erfolg. Das ist einer der Gründe, warum auch einige Nachahmer dieser Arbeitsweise scheitern: Unternehmen, die Innovation fordern, aber konservativ im Umgang mit neuen Ideen bleiben, haben es schwer eine Kultur der Innovation und Freiheit zu gestalten. Nur wenn es den Mitarbeitern frei steht wirklich an Allem zu probieren ohne Angst vor (unkonstruktiver) Kritik, werden Sie auch freigeistig genug sein, das nächste Post-It zu erfinden.
Natürlich gibt es auch sehr erfolgreiche Nachahmer: Google schenkt seinen Mitarbeitern 20% der Arbeitszeit für eigene Projekte. Daraus sind unter Anderem Gmail und Google Earth entstanden. Der Softwarehersteller „Atlassian“ veranstaltet regelmäßig „ShipIt Days“, an denen die Entwickler an eigenen Ideen arbeiten können und diese am Ende der gesamten Firma vorgestellt werden. Darüber hinaus haben Sie auch die 20% Regel übernommen. Zunächst begann es als halbjähriger Versuch, und wurde dann permanent. Die Entwicklung lässt sich nachverfolgen im Blog von Atlassian. Auch Hewlett-Packard und Riot Games gehören zu den Unternehmen, die ähnliche Konzepte sehr erfolgreich umsetzen.
Klingt dieses Konzept für Sie radikal? Stellen Sie sich mal vor, wie es 1948 im Nachkriegsamerika gewirkt haben muss! Und obwohl es sich heute noch neu und fremdartig anfühlt, bin ich überzeugt, dass die Übergabe von Verantwortung an Mitarbeiter, und die Freiheit die eigene Fachkenntnis und Motivation für arbeitsbezogene Projekte zu nutzen zukunftsträchtig ist. Die Wissenschaft spricht dafür: Traditionelle Motivationsstrategien von Unternehmen, wie zum Beispiel finanzielle Boni für bestimmte Arbeitsergebnisse, bei modernen, geistigen Arbeiten die Ergebnisse nicht verbessern. Ganz im Gegenteil: Menschen, die für finanzielle Boni intellektuelle Tätigkeiten verrichten verschlechtern sich sogar. Nutzt man hingegen die intrinsische Motivation eines Mitarbeiters, so entstehen unerwartete und erfolgreiche Resultate weitaus häufiger. Näheres dazu findet sich im Buch „Drive“ von Dan Pink.
Noch kein Kommentar zu diesem Beitrag vorhanden.